Was tun gegen das Böse auf der Welt?

geschrieben an "die da Oben" 1998, kurz vor Beginn des Kosovo-Kriegs



Wenn Böses geschieht auf der Welt (wie durch Saddam, Milosevic) , dann

1. Diplomatie ankurbeln

2. Handelsboykott androhen und verwirklichen

3. NATO-Bomben androhen und abwerfen.

4. wenn 1. bis 3. nichts bringen dann wieder 1. und zwar verstärkt.

Hilft gegen "das Böse" auf der Welt nur 1. bis 4. ????

Bleibt sonst nur tatenloses Zusehen?

Gibt es kein5. ?6. ????7. ?????



5. Uno-Beschlüsse statt Willkürherrschaft

Dank eines Verteidigungsbündnisses (NATO) und der Einhaltung völkerrechtlicher Regeln konnte Deutschland bis vor kurzem auf 50 Jahre Frieden zurückschauen. Jetzt ist Deutschland im Namen eines eigenmächtig mit seinen Verbündeten für "gut" befundenen Zwecks wieder bereit, Krieg gegen ein Land zu führen, das den Bündnismitgliedern nichts getan hat. Die NATO als Weltpolizei mit dem Obersheriff USA an der Spitze: das wird nicht gutgehen auf Dauer, weil die Herrschaft des Westens über den Rest der Welt von diesem auf Dauer sicher nicht ohne gewaltsame Gegenwehr hingenommen wird. Die neue NATO-Strategie wird Unfrieden in die Welt bringen oder schon vorhandenen Unfrieden verstärken. Galt die NATO, der Westen, bisher eher als Garant von Frieden und Sicherheit, so werden wir jetzt, nach dem Beginn des Bombenkriegs von den Serben und anderen Völkern (z.B. den Russen, neuerdings den Chinesen) als Feinde gesehen, gegen die mit Gewalt vorzugehen von nun an als gerechtfertigt gesehen werden kann. Wir Deutschen werden wieder von einer Vielzahl anderer Menschen als bedrohliche Aggressoren wahrgenommen - ein ungemütlicher Gedanke. Viele Menschen, für die der "Westen" die Hoffnung auf eine bessere Welt darstellte, sind schwer enttäuscht und wenden sich ab. Interventionen in anderen Ländern werden nur dann keine Bedrohung des Weltfriedens nach sich ziehen, wenn sie auf der berechenbaren Grundlage des Völkerrechts und auf der breiten Legitimationsgrundlage eines UNO-Mandats stattfinden. Eine international besetzte Eingreiftruppe würde erst gar nicht den Eindruck eines Showdowns "NATO gegen den Rest der Welt" entstehen lassen.

6. Jenseits des Freund-Feind-Denkens

Kriegen, seien dies Bürgerkriege oder internationale Waffengänge, geht immer ein Versagen der Kommunikation und der Politik voraus: Verständigungsbereitschaft mit den vielleicht Andersfarbigen oder Andersgläubigen wird durch Hass abgelöst; das vorher bunte Bild der Anderen wandelt sich in ein schwarzes Feindbild. Und einen Feind kann man bekämpfen bis aufs Blut. Für die Serben sind die Kosovaren üble Terroristen, die ihnen ihr schönes großserbisches Restjugoslawien kaputt machen wollen; die Serben aus Sicht der Kosovaren sind blutrünstige Unterdrücker, die ihnen ihr (im wesentlich religiös und völkisch) bestimmtes Selbstbestimmungsrecht verwehren wollen. Aus der Sicht des Westens ist der Milosevic an allem schuld, er ist der von Grund auf Böse, sein Handeln von keinerlei nachvollziehbaren Motiven bestimmt, er trägt neuerdings sogar die Verantwortung für die Bomben, die auf Belgrad fallen. Das ist ein beschränktes Kriegsdenken in den Kategorien von Gewalt und Gegengewalt, hie Gut dort Böse. Milosevic wird von deutschen Politikern mit Hitler in einem Atemzug genannt und sein Tun mit Auschwitz in Verbindung gebracht. Wenn wir Deutschen mit einem "guten Krieg" gegen das gerade aktuelle Böse auf dem Balkan unsere historische Schuld abtragen wollen und so endlich gute Menschen werden wollen, dann vermengen wir unser Problem mit einem Internationalen. Der Beginn des Bombardements wurde u.a. damit begründet, die NATO könne sonst ihre Glaubwürdigkeit verspielen (als müßten Eltern jede angedrohte Strafe auch so wie angedroht verhängen, um Autorität bleiben zu können). In einem von derartigen Emotionen motivierten und aufgeheizten Kriegstun, da bleiben vor allem Klugheit und Augenmaß für die jeweilige Situation, ferner Gerechtigkeit und Menschlichkeit auf der Strecke. Wer Kriege verhindern oder befriedend auf sie einwirken will, muss Haß und Feindbildern entgegenwirken und darf sich nicht von ihnen infizieren lassen. Vor und während des Eingreifens sollte die Situation und die Interventionsmöglichkeiten nüchtern analysiert werden; der Traum von der eigenen guten Allmächtigkeit gegen das Böse sollte ein Traum bleiben. Überlegene Militärtechnik könnte dazu verführen, diesen Traum für machbar zu halten, ein möglicherweise sehr gefährlicher Irrtum.

7. Feindbild-Pflege stören, wo es nur geht

Ohne eine Propagandamaschinerie im Vor- und Umfeld von Kriegen, durch welche die Köpfe und die Herzen auf "den Feind" und den Krieg ausgerichtet werden, kann es keinen Krieg geben. Gewalt muss für den Kopf legitimiert werden, und das Herz muss hasserfüllt sein, damit Menschen massenhaft zu Gewalt bereit sind oder die Gewaltausübung durch ihre Soldaten unterstützen. Das gilt für die Serben und ihre Soldaten, genauso wie für die Piloten in den Natoflugzeugen oder die UCK-Kämpfer. Das einzige, was die westlichen Staaten zur Störung der serbischen Propagandamaschinerie (die läuft seit etwa 10 Jahren auf vollen Touren) getan haben, das ist die Zerstörung eines zentralen Fernsehstudios, mit der erstaunlichen Wirkung von wenigen Stunden Funkstille. Dafür mußten einige Unschuldige sterben. Wer übernimmt dafür die Verantwortung? Das ist mindestens fahrlässige Tötung! Der Deutschlandfunk kann angeblich seine Sendungen in serbischer Sprache nicht weiterführen, weil das Geld dazu fehlt! Die meisten Serben und Kosovaren wußten zu Beginn des Bombardements nicht, warum denn da jetzt Bomben auf ihr Land fallen. Nach der ersten Bombennacht verstummten die letzten oppositionellen Stimmen (Radiosender, Zeitungen) in Serbien. Völliges Fehlen eines propagandistischen Feldzugs v o r und während dem militärischen das ist ein unkluges Versäumnis mit vielen humanitär, politisch und militärisch nachteiligen Folgen, ein Fehler, der aus dem beschränkten Kriegsdenken kommt. Dessen oberstes Gesetz: Gewalt kann nur mit Gegengewalt gestoppt werden. Aktive Friedenspolitik und Intervention in ein Kriegsklima heisst vor allem: Feindbildpflege propagandistisch stören wo und wie es nur geht. Ohne klares Feindbild und Bedrohungsszenario bei einem größeren Teil des angreifenden Volkes dürften dessen Soldaten in größerer Zahl kaum zu mobilisieren sein für extensiv-aggressive Handlungen. Die Bomben der Nato haben dem Milosevic dabei in die Hände gearbeitet. Danach liefen die Vertreibungen viel besser und schneller. Sie haben erstmal rasant beschleunigt, was sie verhindern sollten. Nur ein paar Prozent der bisher militärisch investierten Gelder für ein demokratisch-serbisch-kosovarisches Gegenfernsehen, das in Teams von Landsleuten der jetzigen Todfeinde gemacht wird und mit allem unterstützt wird, was Fernsehen für Serben und Kosovaren attraktiv macht, das könnte die Wirkung von Milosevics Propagandamaschine nachhaltig stören. Mit diesem Mittel würde direkt ein Stück von den vorgeblichen humanen Zielen (freie Information, Völkerverständigung) verwirklicht, im Unterschied zu den Bomben. Mittel sollten immer auch Wegweiser sein!

8. Radikal - Öffentlichkeit herstellen

Gewalt gegen Wehrlose vollzieht sich immer in einem vorher erzeugten Hassklima aus Gewalt und Gegengewalt - unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Wüssten die serbischen Milizen, daß ihre Aktionen gefilmt oder anders wie von neutralen Instanzen dokumentiert werden und abends der heimischen Bevölkerung im Fernsehen vorgeführt werden könnten, dann würden die Gewaltorgien viel direkter eingeschränkt als durch die großkalibrigen Bomben, die nur wenigen serbischen Milzionären die Pistole aus der Hand geschlagen haben dürften und die das Hassklima in Serbien sogar noch aufgeheizt und zusätzliche Legitimationen geschaffen haben (Kampf gegen die böse NATO). Milosevics jüngstes Angebot unbewaffnete Beobachter ins Land zu lassen, sollte angenommen werden, wenn deren Zahl groß genug ist und jeder von einem Kameramann begleitet wird, dessen Material der serbischen Bevölkerung gezeigt werden kann.
Wieso wird nicht das ganze moderne Spionagearsenal eingesetzt, um serbische Greueltaten zu dokumentieren und der serbischen Bevölkerung in einem serbisch-kosovarischen Fernsehen vorzuführen? Eine solche Maßnahme hätte wahrscheinlich einen viel direkteren Effekt auf Gewalttäter, als die Zerstörung eines Kraftwerks. Barbaren scheuen die Öffentlichkeit. Barbaren können Skrupel kriegen und wieder menschlicher werden, wenn sie fürchten müssen, zur Rechenschaft gezogen zu werden. Kampf gegen die Gewalt durch radikale Herstellung von Öffentlichkeit. Einsatz von Spezialtruppen, die mit Fernsehkameras u.ä. bewaffnet sind.

9. Ziviler Widerstand gegen Militärs

Eine zentrale Annahme des kriegerischen Denkens ist die, dass militärischer Gewalt nur mit militärischer Gewalt begegnet werden kann. Es gibt, neben der oben betonten propagandistischen Kampflinie, eine Vielzahl von nichtmilitärischen Widerstandsformen gegen Gewalt, deren Wirksamkeit bisher nur aus vereinzelten historischen Beispielen bekannt ist. Deren Grundannahme besteht darin, daß militärische Gewalt nur dann wirksam werden kann, wenn sie ein angreifbares Ziel hat; Ziel von Widerstandsmaßnahmen ist vor allem, mögliche Angriffsziele für den Angreifer verschwinden zu lassen, ihn in die Irre zu lenken und die Moral der Angreifer zu untergraben. Bei territorialen Vertreibungskriegen sind diese Strategien zwar weniger wirksam, als bei Kriegen um die Macht über eine Region. Trotzdem: Die meisten Kosovaren scheinen völlig unvorbereitet gewesen zu sein und wurden so die idealen Opfer für die brutalen Serbenmilizen. Die Flucht der Kosovaren hätte so organisiert werden können, daß die serbischen Milizen ihr Ziel verlieren und gleichzeitig ihre Moral untergraben wird. Beispiel das ich mir, nicht landeskundig, ad hoc ausdenke: Mit Hilfe entsprechender Logistik (Zelten, Überlebensmittel) verteilt sich die angegriffene Bevölkerung weiträumig im eigenen Land an schwer zugänglichen Stellen, sabotiert Verkehrswege, macht Versorgungseinrichtungen für den Angreifer unbenutzbar, jedes verlassene Haus hat eine weiße und eine jugoslawische Fahne auf dem Dach, an jedem Dorfeingang werden die Angreifer mit Präsentkörben und der Botschaft empfangen: "Wir wollen mit Dir leben! Denk an Deine Mutter, die Dich zur Nächstenliebe erzogen hat!" Gleichzeit werden evtl. Angriffsaktionen von den oben genannten Überwachungseinrichtungen aufgezeichnet und über die Medien den Familien der Angreifer gezeigt. Das wird die Moral auch der "Milosevic-Schergen" beeinflussen, denn auch sie sind Menschen, die nur dadurch zu "Schlächtern" werden, daß sie reibungslos in ein autoritäres Hasssystem eingebunden sind.
Ein Soldat in Feindesland ohne bewaffnete Gegenwehr oder zu bekämpfendes Ziel ist verunsichert. Für Gegenpropaganda ist er dann anfällig. Ohne klares Feindbild ist er nichts wert! Erweiterung oder Ersetzung der Kampfmethoden um nichtmilitärische! Die NATO hat es wohl für unwahrscheinlich gehalten, daß Milosevic so lange unnachgiebig bleiben kann und durch das Bombardement seine Vertreibungsaktion geradezu neuen Schub (Legitimationen! Hasspotential!) kriegt , denn immerhin werden ja die tollsten High-Tech-Waffen gegen ihn(??) eingesetzt. Man sollte nicht, auch nicht mit den besten Absichten, in ein Land eingreifen, dessen innere Gesetzmäßigkeiten einem wenig bekannt sind (siehe Vietnam, siehe Somalia).

10. Ethnische Säuberungen ohne Ende?

Es sieht so aus, als läge es in der menschlichen Natur sich nach Phasen fröhlicher Mixtur immer mal wieder in ethnisch oder religiös homogenen Gruppen zu separieren und sich gewaltsam voneinander abzugrenzen. Seit Menschengedenken fließt dabei Blut. Das heute so fortschrittliche und vorbildlich humane Mitteleuropa hat sich während der ersten Hälfte des ausgehenden Jahrhunderts in mehreren außerordentlich brutalen Kriegen ethnisch gesäubert! Im letzten Weltkrieg wurden etwa 30 Millionen Menschen zwangsumgesiedelt oder vertrieben - nicht mitgezählt die, die dabei auf heimatlicher oder fremder Erde ihr Leben ließen. Ergebnis: Völkische Grenzen und Staatsgrenzen stimmten nach diesem grausamen Treiben weitgehend überein. Überall war nun ethnisch saubere Provinz. Im Kosovo werden gerade die letzten Überreste einer multiethnischen und multireligiösen Sozialordnung beseitigt, die die Mitteleuropäer schon länger abgeschafft haben. Wir Deutschen legen immer noch großen Wert darauf ethnisch einigermaßen sauber zu bleiben und uns bloß nicht zu sehr mit dem Fremden zu vermischen. Die ethnisch sauberen und durchaus blutigen Staatsgründungen der Slowenen und Kroaten waren die ersten Abbaustadien des Vielvölkerstaats Jugoslawien. Von den Deutschen wurden sie als erste diplomatisch anerkannt. Das waren die ermunternden unmittelbaren Vorstufen zu dem, was jetzt im Kosovo passiert! Und jetzt kommen wir daher und wollen den Balkanbewohnern multiethnische und demokratische Mores lehren und zwar mit der großen Keule, der edlen, weil allmächtigen und chirurgisch präzisen High-Tech-Keule. Sind wir vielleicht so eifrig darauf besessen dem multiethnisch Guten dort unten zum Zuge zu verhelfen, weil wir uns im eigenen Lande immer noch recht schwer damit tun und z.B. balkanische Flüchtlinge kurz nach der Aufnahme wieder loswerden wollen? Wollen wir die etwas lehren, was wir selbst nicht können? Und zwar mit der Methode des Einbleuens! Wenn in irgendeinem Staat der Welt die Leute meinen, nicht mehr miteinander auszukommen und sich deswegen mit Hightech-Waffen oder mit Knüppeln (wie in Ruanda) vernichten, dann ist erst mal deren Verantwortung und dagegen ist von Außen kurzfristig wenig auszurichten, speziell nicht mit Gewalt. Die Kosovaren haben lange wissen können, in welch gefährliche Situation sie sich mit ihren militanter werdenden Autonomiebestrebungen bringen. Sie hätten ahnen können, daß die Serben nicht tatenlos zusehen werden, wenn früher oder später ein weiteres Stück aus ihrem Restjugoslawien herausgelöst werden kann, was im Friedensvertrag von Rambouillet sanktioniert worden war! Würde, sollte unsere Bundesregierung tatenlos zusehen, wenn eine bayerische Untergrundarmee die Loslösung Bayerns aus dem Bundesstaat betreiben würde? Möglicherweise wird es auf dem Balkan auf eine Komplettierung der ethnischen Säuberungen hinauslaufen (Volksgrenzen = Staatsgrenzen). Vielleicht geht das ja auch mit weniger Blutvergießen. Möglicherweise entstehen weitere international bewachte multiethnische Protektorate, wie in Bosnien-Herzegowina. Das wird auf Dauer sehr teuer. Ob sich unter so einem Dach ein tragfähiges Staatsbewußtsein entwickeln kann? Im weitgehend zerstörten Deutschland hat das geklappt. Möglicherweise bleiben in größerem Umfang multiethnische und -religiöse Staatsgebilde erhalten oder werden aufgebaut. Das wäre ein wunderbares Wunder.